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Jul 05, 2023

Bremsen für mehr

Batterieelektrische Fahrzeuge stellen neue Anforderungen an das Fahrwerk, insbesondere wenn es

Batterieelektrische Fahrzeuge stellen neue Anforderungen an das Fahrwerk, insbesondere beim Bremsen und Rekuperieren. Entwickler des Porsche-Konzerns arbeiten an neuen Konzepten zur Bremskraftverteilung, die eine bessere Rekuperation ohne Komforteinbußen ermöglichen.

Die Elektrifizierung stellt Fahrwerksentwickler in zweierlei Hinsicht vor Herausforderungen: Batterien machen die Fahrzeuge schwerer, andererseits weisen die Fahrzeuge oft eine bessere Fahrdynamik auf. Beide Faktoren erfordern in der Regel eine stärkere hydraulische Radbremse. Allerdings verringert sich dadurch die Effizienz und die Reichweite geht verloren, da das Gewicht steigt und der Verbrauch steigt.

Der Porsche Taycan kommt ohne größere Bremsanlage aus – dank Rekuperation: Sobald der Fahrer das Bremspedal betätigt, schalten die Elektromotoren in den Generierungsmodus. Sobald dies der Fall ist, treiben nicht mehr die Motoren die Räder an, sondern umgekehrt. Dadurch wird das Fahrzeug abgebremst und gleichzeitig Strom erzeugt, der zum Laden der Batterie genutzt werden kann. Entscheidend für die Fahrwerksentwickler ist, dass die Rekuperation trotz der gesteigerten Fahrdynamik keine Vergrößerung der Bremse erfordert. Die Bremse hat daher keinen negativen Einfluss auf die Reichweite.

Beim Taycan bremst der Fahrer in 90 Prozent aller Alltagssituationen rein elektrisch, also ohne Einbindung der Hydraulik. Letzteres kommt erst bei Geschwindigkeiten unter 5 km/h zum Einsatz, wenn die Elektromotoren kaum noch Bremsleistung entwickeln. Darüber hinaus greift die Reibungsbremse ein, wenn den Elektromotoren nicht genügend Verzögerungsleistung zur Verfügung steht, etwa bei einer Vollbremsung aus hohen Geschwindigkeiten. Der Taycan Turbo S (Stromverbrauch* kombiniert (WLTP) 23,4 – 22,0 kWh/100 km, CO₂-Emissionen* kombiniert (WLTP) 0 g/km, elektrische Reichweite* kombiniert (WLTP) 440 – 467 km, elektrische Reichweite* in der Stadt (WLTP) 524 – 570 km) kann beim Bremsen bis zu 290 kW elektrische Leistung erzeugen. Bei dieser Leistungsstufe reichen zwei Sekunden Verzögerung aus, um Strom für die Fahrt von rund 700 Metern zu erzeugen. Insgesamt erhöht die Rekuperation die Reichweite um bis zu 30 Prozent.

Eine der größten technischen Herausforderungen bei der Fahrwerksentwicklung für batterieelektrische Fahrzeuge (BEVs) ist das Blending, also die Kombination von regenerativem und hydraulischem Bremsen. „Der Fahrer darf den Übergang zwischen den Systemen nicht spüren“, betont Martin Reichenecker, Senior Manager Chassis Testing bei Porsche Engineering.

Um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten, sind hohe Anforderungen an die Technik gestellt, denn die Bremssysteme funktionieren unterschiedlich: Während ein Elektromotor immer das gleiche Bremsmoment liefert, kann das Drehmoment seines hydraulischen Pendants aufgrund von Umwelteinflüssen wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit jedes Mal variieren. Daher kann es vorkommen, dass an der Übergangsstelle die hydraulische Bremsleistung von der elektrischen Bremsleistung abweicht. Der Fahrer spürt dies als Ruck.

Porsche hat für den Taycan Algorithmen entwickelt, die das verhindern. Sie überwachen das Hydrauliksystem kontinuierlich: Bei jedem Ladevorgang wird die Bremse kalibriert, um das aktuelle Verhältnis von Bremspedalweg zu Bremspedalkraft zu ermitteln. Dadurch kann der Algorithmus abschätzen, wie viel Leistung das Hydrauliksystem beim nächsten Bremsvorgang des Fahrzeugs liefern wird, und diese präzise einsetzen, damit der Übergang in den Rekuperationsmodus reibungslos verläuft.

Bei Fahrzeugen ist die Bremsleistung meist ungleich verteilt: Zwei Drittel davon werden von der Vorderachse bereitgestellt, ein Drittel von der Hinterachse. Für das elektrische System im Taycan gilt das gleiche Verhältnis: Der vordere Elektromotor sorgt für zwei Drittel der Bremsleistung, der hintere für ein Drittel – obwohl der hintere Motor größer ist und theoretisch mehr beitragen (und rekuperieren) könnte. Dieses Potenzial könnte durch eine unterschiedliche Verteilung der Bremskraft zwischen den Achsen genutzt werden. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass aus Gründen der Fahrstabilität der maximale Hinterachsbeitrag je nach Situation begrenzt werden muss, um eine ausreichende Stabilitätsreserve zu gewährleisten. „Der Elektromotor, der die meiste Energie aufnehmen kann, würde dann das größte Bremsmoment liefern“, erklärt Ulli Traut, Funktionsentwickler und Integrationsingenieur Regeneratives Bremsen bei der Porsche AG.

Wie beim Zusammenspiel zwischen hydraulischer und generativer Bremse dürfen die Kräfteverschiebungen den Komfort für Fahrer und Passagiere nicht beeinträchtigen. Eine Lösung wäre, zwei Algorithmen parallel arbeiten zu lassen: Der erste analysiert die Fahrsituation und schlägt einen „Korridor“ vor, in dem die Bremskraft optimal zwischen Vorder- und Hinterachse verteilt wird – basierend auf Prüfstandsdaten. Ein zweiter Algorithmus wählt aus dem effizientesten „Korridor“ eine Verteilung aus, die zur aktuellen Fahrsituation passt. Laut Experte Traut würde diese Lösung eine ideale Verzögerung garantieren und einen „erheblichen Reichweitengewinn“ bringen.

Bisher war die Bremse im Automobilbau ein relativ isoliertes, eigenständiges System. Bei Elektrofahrzeugen hat sich das mittlerweile geändert, denn viel mehr Teile des Fahrzeugs sind an der Verzögerung beteiligt: ​​Antriebsstrang, Leistungselektronik und Batterie. Darüber hinaus verfügt die Bremse über eine eigene Anzeige im Kombiinstrument. All dies erfordert eine stärkere interdisziplinäre Arbeit der Fahrwerksentwickler. Die Bremsen-Ingenieure beispielsweise müssen sich künftig stärker mit ihren Getriebe-Kollegen abstimmen, da bei der Rekuperation auch der Elektromotor und damit das Getriebe (beim Taycan ist ein Zweigang-Getriebe an) beteiligt sind der Hinterachse).

Das stellt neue Anforderungen an die Belastbarkeit – bietet aber auch neue Chancen, wie Reichenecker betont: „Entwickler haben völlig neue Freiheitsgrade.“ Bestes Beispiel dafür sei die mögliche Möglichkeit, die Bremskraftverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse variabel zu gestalten. Reichenecker geht davon aus, dass die Technologie für die Fahrwerks- und Antriebskomponenten weiter zusammenwachsen wird. „In zukünftigen Architekturen werden voraussichtlich die meisten Softwarefunktionen in einem einzigen Steuergerät vereint sein.“

Beim Fahren setzen einige Hersteller von Elektrofahrzeugen auf das sogenannte One-Pedal-Driving. Das Prinzip: Sobald der Fahrer den Fuß vom Pedal nimmt, beginnt das Fahrzeug sofort mit der Energierückgewinnung – und bremst im Extremfall so stark ab, dass die Bremslichter aufleuchten. Das bedeutet, dass das Auto in den meisten Situationen tatsächlich mit einem Pedal gefahren werden kann.

Porsche hingegen nutzt das sogenannte „Segeln“, also den natürlicheren Prozess, bei dem das Fahrzeug ohne Antrieb weiterrollen kann. Die Rekuperation beginnt erst, wenn das Bremspedal betätigt wird. „Das ist eine effizientere Fahrweise, weil die Bewegungsenergie im Fahrzeug bleibt“, sagt Reichenecker. Beim One-Pedal-Fahren hingegen wird zunächst rekuperiert und erst dann die zurückgewonnene Energie wieder in Vortrieb umgewandelt. „Das führt zu doppelt so hohen Verlusten.“

Ein weiterer positiver Effekt der Rekuperation ist, dass die hydraulischen Bremsen weniger beansprucht werden. „Wir gehen davon aus, dass Bremsbeläge in Zukunft eher aufgrund von Alterung als aufgrund von Verschleiß ausgetauscht werden müssen“, vermutet Traut. Um die Bremsscheiben sauber zu halten, obwohl sie seltener genutzt werden, wurde für den Taycan eine Funktion entwickelt: Das Fahrzeug bremst in regelmäßigen Abständen nur mit der Hydraulik und ohne Elektromotoren, um Schmutz von den Scheiben zu entfernen. Das könnte in Zukunft ein erheblicher Vorteil sein, denn die EU plant, dass Bremsen künftig weniger Feinstaub ausstoßen. Mit der neuen Abgasnorm Euro 7, die 2025 in Kraft treten soll, werden erstmals Grenzwerte für den Bremsenabrieb festgelegt. Damit sind Elektrofahrzeuge wie der Taycan, der nur neun von zehn Bremsvorgängen Strom verbraucht, in einer guten Ausgangslage.

Text erstmals veröffentlicht im Porsche Engineering Magazin, Ausgabe 1/2023

Text: Constantin Gillies

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